Zehenspitzengang mit 4 Jahren: Muss ich mit dem Kind zum Arzt?

Du machst Dir Sorgen um Dein Kind, weil es häufig nur auf dem vorderen Fuß geht und beim Gehen nicht abrollt (das bedeutet nämlich genau genommen Zehenspitzengang)? Vielleicht hat dich auch der Kindergarten oder die Schule darauf angesprochen, dass du da „was tun solltest“. „Und jetzt?“ fragst du dich? Was ist denn eigentlich „normal“ oder „nicht normal“ und wann muss ich reagieren?

Manchmal machen Kinder ihre ersten Stehversuche auf Zehenspitzen. Auch beim Laufen lernen, gehen einige Kinder zuerst auf den Zehenspitzen und erst wenn sie sicherer sind, rollen sie den Fuß komplett ab. Das ist ganz normal und am Anfang nicht weiter schlimm. Manchmal kommt es auch vor, dass Kinder ganz normal gelaufen sind und auf einmal auf den Vorderfuß wechseln.

In diesem Artikel bekommst du Antworten auf die 5 häufigsten Fragen zum Thema: Zehenspitzengang bei Kindern.

Sollte ich einen Zehenspitzengang mit 4 Jahren behandeln?

Du stellst dir als besorgter Elternteil jetzt die Frage: Sollen wir zum Arzt gehen oder einfach mal abwarten? Geht das vielleicht auch von alleine wieder weg?

Ärzte und Orthopäden sagen: erst wenn über einen Zeitraum von 3 – 6 Monaten ein Kind ausschließlich (bzw. dauerhaft in bestimmten Situationen) auf Zehenspitzen geht, dann sollte man genauer hinschauen. Und das wiederum betrifft nur einen geringen Prozentsatz der Kinder.

Gerade wenn Kinder laufen lernen, probieren sie aus. Sie experimentieren mit dem Gleichgewicht, mit ihrer Körperstabilität. Lasst sie bitte experimentieren und überhaupt mal ein Körpergefühl entwickeln. Allerdings sollte der Zehenspitzengang eben irgendwann übergehen in ein Abrollen auf den ganzen Fuß.

Wenn das nicht passiert, dann geh erstmal zu deinem Hausarzt. Er kann eine erste Einschätzung vornehmen oder euch eventuell auch direkt zum Orthopäden überweisen. Denn als allererstes gehört die Ursache geklärt.

Was sind die Ursachen – warum laufen Kinder überhaupt auf Zehenspitzen?

Einleiten möchte ich hier gerne mit meiner Sichtweise auf Krankheiten, Diagnosen und Symptome – vielleicht auch im Gegensatz zur klassischen Medizin:

Ich bin ein absoluter Freund davon die wirkliche Ursache zu klären und nicht nur Symptome zu behandeln. Sehr oft ist die klassische Medizin toll in der „Reparaturmedizin“, also bei Unfällen, akuten Operationen usw.

Bei chronischen Symptomen wie z.B. Neurodermitis oder Verhaltensauffälligkeiten, gibt es häufig viel bessere Ergebnisse mit alternativen Methoden.

Auch beim dauerhaften Zehenspitzengang sind die wirklichen Ursachen nicht geklärt. Insgesamt tappt man im Dunkeln. Es gibt ein paar Beobachtungen, die vermuten lassen, dass vielleicht eine familiäre oder genetische Veranlagung eine Ursache sein könnte. Das ist aber auch nicht bei allen Kindern mit Zehenspitzengang der Fall.

Es wird lediglich unterschieden zwischen dem idiopathischen Zehenspitzengang (ohne erkennbare Ursache) und dem habituellen Zehenspitzengang (gewohnheitsmäßig).

Diese zwei Formen stellen für mich keinen großen Unterschied dar. Beide Male kennt man die Ursache nicht. Ich nenne die offiziellen Kategorien hier der Vollständigkeit halber, falls ihr damit bei Arztgesprächen konfrontiert werdet.

Der habituelle Zehenspitzengang wird in 3 Typen eingeteilt:

Typ I – Muskelverkürzung

Wenn eine Muskelverkürzung vorliegt, kann oft der Fuß nicht komplett abgerollt werden. Aus diesem Grund macht es für mich Sinn unbedingt bald zum Arzt zu gehen und genau das untersuchen zu lassen! Wenn du hier länger wartest stellt sich für mich irgendwann die Frage: was war denn zuerst da – die Muskelverkürzung oder der Zehenspitzengang?

Denn natürlich ist auch ein Resultat aus einem dauernden Zehenspitzengang irgendwann mal verkürzte Muskeln. Und das Henne / Ei Problem ist schon immer schwer zu lösen. Also bitte schließt ziemlich bald mit einem Besuch zum Arzt diese Ursache aus.

Typ II – familiär bedingt

Typ II liegt vor, wenn der Zehenspitzengang in der Familie gehäuft vorkommt. Hier wird eine genetische Veranlagung vermutet.

Typ III – Situativer Zehenspitzengang

Die Kinder können ganz normal den Fuß abrollen und laufen. Der Zehenspitzengang tritt nur in bestimmten Stress Situationen auf, z.B. Müdigkeit, Aufregung, Freude.

Als ich angefangen habe, mich mit dem Zehenspitzengang näher zu beschäftigen hat mich diese Unterteilung ehrlich gesagt ein bisschen ratlos zurückgelassen. Ich weiß nicht wie es dir damit geht, aber ich finde, eine wirkliche Ursache ist für mich nur bei Typ I genannt. Ich finde es wichtig, eine Muskelverkürzung auszuschließen. Beim Rest weiß ich noch nicht mal, ob ich es als Problem sehen würde. Denn wenn Kinder vor Freude oder Aufregung hüpfen und springen dann dürfen sie das auch gerne auf den Zehenspitzen tun. Und was bedeutet „gehäuftes Vorkommen“ in der Familie?

Ich finde, es kann zum Problem werden, wenn Kinder dauerhaft, über mehrere Stunden am Tag, über einen längeren Zeitraum, ausschließlich auf den Zehenspitzen gehen. Davon spreche ich hier. Und das war das Problem der Kinder, die zu mir in die Praxis gekommen sind.

Diese EINE Gemeinsamkeit hatten bisher alle Kinder in meiner Praxis mit Zehenspitzengang

Jetzt komme ich zu meinen ganz persönlichen Beobachtungen zum Thema Ursache. Bevor ich diese näher erläutere, möchte ich dir ein paar Fragen stellen:

  • Hattest du während der Schwangerschaft irgendwelche eklatanten Probleme (z.B. Schwangerschaftsvergiftung)?
  • War die Geburt kompliziert (Kaiserschnitt, Saugglocke, Nabelschnur um den Hals, Sturzgeburt etc.)?
  • Hat dein Kind als Baby (ohne ersichtlichen Grund) viel geschrien?
  • Brauchte es extrem viel Hautkontakt?
  • Ist es nur bei dir angekuschelt eingeschlafen und nirgends sonst – selbst im Kinderwagen nicht oder nur schwer?
  • Hattest du Probleme beim Stillen?
  • Klammert dein Kind? Kann es nur schwer allein sein und macht es am liebsten nur Dinge mit dir zusammen?
  • Hat es extreme Wutausbrüche?

Wenn du eine oder sogar mehrere dieser Fragen mit einem „ja“ beantwortest, dann könnte der Zehenspitzengang EIN Symptom eines dysregulierten Nervensystems sein, dem ein Schock oder Trauma zugrunde liegt.

Das soll heißen:

Das Wort Trauma wird meistens ausschließlich mit einem sexuellen Übergriff, Gewalterlebnissen etc. verbunden. Das sind allerdings nicht die einzigen traumatischen Erlebnisse für uns Menschen. Es gibt einiges mehr, z.B.

  • Komplikationen während der Schwangerschaft
  • schwierige Geburten
  • längere Trennung von Kind und Eltern direkt nach der Geburt
  • Probleme bei der Versorgung, beim Stillen
  • Emotionale Schwierigkeiten z.B. ein Nicht-Willkommen-fühlen des Kindes
  • usw.

Die Auswirkungen solcher Erlebnisse sind natürlich nicht bei jedem Menschen gleich, aber es bringt ein hilfloses Neugeborenes oft schon in den ersten Tagen seines Lebens in eine extreme Stresssituation, einen kompletten Ausnahmezustand (=Trauma). Die Auswirkungen solcher Erlebnisse sind in der Breite bisher oft nicht bekannt. Das, was in der Folge im Körper passieren kann und was das dann wiederum mit späteren Krankheiten, sowohl physisch als auch psychisch zu tun hat, wird nach meinem Empfinden total unterschätzt.

Das Nervensystem reagiert mit uralten Überlebensmechanismen (Kampf, Flucht, Erstarrung). Schockerlebnisse und Traumata werden auch schon von dieser ganz frühen Lebenszeit in unserem Körpergedächtnis, im Nervensystem, gespeichert. Auch wenn wir uns nicht bewusst daran erinnern.

Den Zustand des Nervensystems kann man sich auch gut bildlich als Ampel vorstellen:

grün = entspannt („ich bin sicher“)
orange = Gefahr (Kampf / Flucht)
rot = Angst (Erstarrung)

Traumatische Erlebnisse bringen das Nervensystem in einen orangen oder roten Zustand. Die Reaktionen in diesem Zustand sind überlebenswichtig (Überaktivität oder Shut Down). Wenn sie allerdings nicht mehr weggehen, dann sprechen wir von einem chronischen Trauma. Diese Menschen kommen nicht mehr in einen grünen, also entspannten, Zustand.

Wenn du die obigen Fragen mit einem „ja“ beantwortet hast, dann können sich Symptome zeigen, die auf ein Nervensystem im orangen oder roten Zustand hindeuten. Oft kommen Kinder in meine Praxis, weil sie Probleme beim Lernen zeigen, hyperaktiv, aggressiv oder extrem schüchtern sind – und zusätzlich gehen ein paar von ihnen sehr viel auf dem Vorderfuß. Sie können uns Erwachsenen nicht mitteilen, warum sie diese Probleme zeigen. Es sind aber alles Warnzeichen für uns Erwachsene, dass sie Unterstützung in ihrer Entwicklung brauchen. Vielleicht sind es sogar Warnzeichen für ein gespeichertes Trauma im Körper.

Es könnte sich also lohnen, genauer hinzuschauen, auch wenn der Zehenspitzengang nach ein paar Monaten wieder von alleine weg geht.

Wenn die Ursache behoben wird, in dem Fall vielleicht ein Nervensystem im „Dauerausnahmezustand“, dann lockert sich der ganze Körper. Der Oberkörper, die Schultern, der Nacken – alles entspannt sich. Die Kinder kommen wieder in ihrem Körper an. Und dann geht oftmals auch der Zehenspitzengang weg.

Wenn dein Kind auf Zehenspitzen geht, dann könnte das eine riesen Chance sein jetzt schon darauf aufmerksam zu werden und zukünftige Probleme zu vermeiden. Denn im Kindergartenalter oder frühen Schulalter lässt sich alles noch viel besser lösen als später, z.B. in der Pubertät.

Ist ein dauerhafter Zehenspitzengang bei Kindern gefährlich?

Wenn dein Kind dauerhaft auf Zehenspitzen geht, kann es logischerweise zu Muskelverkürzungen kommen. Auch die andauernde Fehlbelastung des ganzen Körpers kann ziemlich schwerwiegende Folgen haben. Nicht nur Schmerzen oder sogar Fehlbildungen am Fuß, sondern auch Rückenschmerzen, Hüftprobleme usw.

Wenn du magst, mach mal einen kleinen Versuch:
Gehe einmal normal und rolle den ganzen Fuß ab. Und dann geh nur auf dem Vorderfuß. Spüre, wie sich die Belastung im Körper verändert. Merkst du wie du beim Zehenspitzengang alles im Bauch und Oberkörper anspannen und halten musst? Das Becken wird auf Zehenspitzen kaum belastet.

Das Becken ist DER zentrale Ort unseres Körpers. Von dort richten wir uns auf, kommen in unsere Präsenz, in unsere Kraft. Wir sind ganz „bei uns“. Wenn wir nicht im Becken sind, müssen wir sehr viel über den Oberkörper kompensieren. Das ist sehr typisch bei Menschen mit traumatischen Erlebnissen.

Sollte der Zehenspitzengang wie erläutert in Verbindung mit einem dysregulierten Nervensystem stehen und das Problem nicht gelöst werden, können natürlich auch weitere Probleme auftreten – selbst wenn der Zehenspitzengang irgendwann von selbst weg geht. Denn solche abgespeicherten traumatischen Erlebnisse sind oft Ursache (wie oben schon erwähnt) für viele andere Probleme.

Ist der Zehenspitzengang ein Zeichen für Autismus oder ADHS?

Es ist wichtig, schwerwiegende geistige und neurologische Ursachen auszuschließen. Es ist dabei auch wirklich wichtig zu unterscheiden, wann der Zehenspitzengang auftritt, wie lange er schon anhält und vor allem: bitte erst mal alle anderen Ursachen ausschließen. Das macht natürlich ein guter Arzt und hier gibt es viele Untersuchungsmöglichkeiten.

Auch hier kann ich allerdings sagen: Es gibt nicht DEN einen Autismus oder DIE AD(H)S-Diagnose. Hier gibt es große Unterschiede. Es wird noch geforscht, was Ursachen dafür sind. Auch hier gibt es mittlerweile Beobachtungen, dass es zumindest bei einem Teil der Menschen mit diesen Symptomen traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit gibt. Dazu gibt es schon viele Artikel und ich mache auch selbst bei meiner die Erfahrung, dass die Arbeit mit dem Körper hilft, hier Verbesserungen zu erzielen.

Ich würde es so formulieren: Bei ca. 50% der Kinder mit einer Autismus- oder ADHS-Diagnose stellt man auch einen Zehenspitzengang fest. Ein Zehenspitzengang ist allerdings kein Anzeichen für die beiden Diagnosen.

Zehenspitzengang mit 4 Jahren: Gibt es Übungen die helfen?

Die „Wunderübungen“ für zu Hause gibt es leider nicht. Was auf alle Fälle helfen kann ist nach der Abklärung beim Arzt der Gang zum Ergotherapeuten, Physiotherapeuten oder Osteopaten. Ganz oft können sie mit Übungen und Dehnen der Muskulatur in ihrer Praxis helfen.

Solltest du nach diesem Artikel den Eindruck haben, dass eventuell bei deinem Kind das Nervensystem dysreguliert sein könnte, dann suche dir gerne zielgerichtete Hilfe. Alle Therapeuten die mit dem Körper arbeiten, Traumata im Körper lösen, können helfen. In der Therapeutenliste www.tonfeld.de oder www.tonfeldverein.at findest du darüber hinaus alle Tonfeldtherapeuten in Deutschland und Österreich und der Schweiz.

Fazit

Ich empfehle dir: vertraue auf dein Bauchgefühl. Du bist der oder die Expertin für dein Kind. Ich bin kein Freund davon die Pferde scheu zu machen, aber genau hinschauen lohnt sich!

Ute Esper - Coaching, Training, Arbeit am Tonfeld

Ute Esper

ist psychosoziale Beraterin, Coach und Trainerin. Sie sagt: „Erwachsene und Kinder mit psychischen und körperlichen Problemen suchen oft jahrelang erfolglos nach einer dauerhaften Lösung – ohne zu wissen, welche große Rolle der Körper dabei spielt. Ich löse die Probleme ganz ohne Reden: ich zeige ihnen, wie sie beim Kneten von Ton ganz leicht bis ins Nervensystem Blockaden befreien. Dadurch geht es ihnen von Stunde zu Stunde besser, sie haben wieder Freude am Leben und die Probleme bestimmen nicht mehr ihren Alltag.“

2 Kommentare.

  • Liebe Ute,

    gratuliere dir zur überarbeiteten Version deiner Website. Sehr dynamisch, sehr lebendig und ansprechend.
    Liebe Grüße Edith

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